Erinnern Sie sich an den Walkman und die Kassetten? Ein 22-Jähriger bedient sich bei der Technik seiner Eltern und mischt sie mit Elektronik von heute. Als Resultat entstehen ein neues Musikinstrument, bestechend coole Sounds und nebenbei auch noch die Note 6 seiner Vertiefungsarbeit.
Leon Di Benedetto ist Polygrafie-Lernender in der Lehrwerkstatt Digital der Quellenhof-Stiftung, steht kurz vor dem Abschluss der Ausbildung und spielt mehrere Instrumente. Musik ist für ihn mehr als nur Unterhaltung. Er fühlt sie, tüftelt an Nuancen und Klängen, die neu und andersartig sind.
Im schriftlichen Teil seiner Vertiefungsarbeit (VA) untersucht er die Geschichte des Tonbands und dessen Entwicklung. Seine wirkliche Leidenschaft wird dann im praktischen Teil sichtbar. Trotz Rückschlägen und grösserem finanziellem Aufwand gelingt ihm schliesslich die Entwicklung eines neuen Geräts – eine abgeänderte Version eines Cassettones, mit dem er einen zuvor auf Kassette aufgenommenen Ton wie einen Synthesizer spielen kann.
Leon, als Polygraf brauchst du Kreativität und gestalterische Begabung. Die Herstellung eines Cassettones würde man eigentlich eher einem Elektroniker zuschreiben. Weshalb hast du dich in dieses Projekt verliebt?
Die Szene der experimentellen Musik fasziniert mich schon lange. Die Idee des Cassettones findet man auf YouTube schon lange. Ich wollte jedoch eine eigene Version bauen. Mein Antrieb war nicht das Gerät, sondern der Wunsch, dabei eine versteckte Nische der Musik zu finden und etwas Eigenes zu schaffen.
Mir ist es wichtig, mit meiner VA die experimentelle Musikszene zu zelebrieren. Es ist keine spezifische Musikrichtung wie Pop oder Jazz. Das Genre ist unbestimmt. Es geht um Kreativität und neue Klänge.
Musik ist Teil deines Lebens. Was bedeutet dir Musik?
Sie ist mein emotionales Ventil. Da kann ich mich gefühlsmässig entfalten, kann meinen Emotionen eine Form geben. Musik machen ist gleichzeitig erfüllend und frustrierend. Ich jage nach der Perfektion im Wissen, dass ich sie nie erreichen werde. Ab und zu ein bisschen eine Hassliebe.
Welchen Stellenwert hat Musik in Bezug auf dein Befinden?
Mit Musik und Liedern kann ich vieles verarbeiten. Angestaute Emotionen oder Gedanken finden in der Musik und Liedern wieder Ausdruck und Entlastung. Das ist sehr befreiend. So kann ich mich besser mit dem abfinden, was ist. In einem Lied schreibe ich beispielsweise darüber, dass ich nicht mehr die Person bin, die ich gewesen bin. Ich kann das «Jetzt» akzeptieren und damit auch den Augenblick geniessen.
Zurück zu deiner praktischen Arbeit der VA. Was ist das Besondere am Cassettone?
Es ist ein umgebauter Kassettenrekorder, der nun Noten spielen kann. Das Tempo eines Kassettengeräts konnte man schon länger verändern. Aber mein Cassettone hat neu fünf Knöpfe, mit denen man es spielen kann.
Welches war die grösste Herausforderung, bis das Cassettone Realität wurde?
Die Technik des Prototyps auf YouTube funktioniert nur mit einem Kassettenrekorder, der heute nicht mehr in Europa verfügbar ist. So musste ich völlig neue Ansätze und Lösungswege finden, um denselben Effekt mit neuer Technik zu erzielen.
Gibt es Erkenntnisse aus dem Prozess deiner VA, die dir auch im weiteren Leben helfen werden?
Ich habe unzählige Stunden investiert und Rückschläge einstecken müssen. Ich habe Nächte durchgemacht, aber bereue keine Zeit, die ich dafür eingesetzt habe, und habe auch nie ans Aufgeben gedacht. Ehrlich gesagt hatte ich keine Wahl, denn die VA musste abgegeben werden. Schliesslich hat sich die Arbeit aber gelohnt. Nicht nur wegen der guten Note, sondern weil ich viele neue Erfahrungen gemacht habe. Die gestellte Aufgabe von der Schule, meine eigene Motivation und meine Interessen haben sich da positiv überschnitten. Wenn dies zusammenfällt, kann ich Grosses erreichen. Ausserdem habe ich sehr viel über Elektronik gelernt, sodass ich es nun wage, auch andere Geräte zu reparieren. Aktuell sind das ein 3-D-Drucker oder ein Gitarrenverstärker.
Bei der Musik tüftelst du an der richtigen Tonspur, bis es perfekt tönt. Du bist fast vier Jahre in der Ausbildung in der Quellenhof-Stiftung. Was hat dir geholfen, immer wieder die richtige Spur zu finden und dranzubleiben?
Das Umfeld war für mich sehr wichtig. Besonders die Unterstützung des Berufsbildners war krass. Ich habe noch nirgends erlebt, dass jemand so für mich da ist und mich auf dem Weg begleitet. Für mich ist es wichtig, dass ich der Person vertrauen kann. Selbst wenn sie mich hinterfragt, weiss ich, dass sie zu mir steht. Das erlebe ich auch im Coaching. Das ganze Netz mit Beruf, Wohnen und Coaching in der Stiftung hat mir geholfen und ich bin sehr dankbar dafür.
Beim Cassettone handelt es sich um ein modifiziertes Kassettengerät, das erlaubt, das Tonband ähnlich wie einen Synthesizer einzusetzen. Dabei wird durch die Veränderung der Geschwindigkeit des Motors die Tonhöhe eines zuvor auf der Kassette aufgenommenen Tons verändert.