Interview zur Co-Geschäftsführung

In der Quellenhof-Stiftung teilen sich Joe Leemann (45) und Marcel Spiess (45) seit Oktober 2022 die Geschäftsführung im Co-Leitungsmodell. Wie es dazu kam, erzählen sie in einem kurzen Interview.

Wie kam es zur Idee der Co-Geschäftsführung?

Joe Leemann: Organisationen befinden sich heute unter ständigem Anpassungsdruck. Um damit Schritt zu halten, ist organisationale Flexibilität gefordert und die Verantwortung muss auf die richtigen Schultern aufgeteilt werden. Diese Ausganglage hat mich in den letzten Monaten intensiv beschäftigt. Marcel und ich arbeiten schon seit fünf Jahren in der Geschäftsleitung zusammen und sind ein eingespieltes Team. Nach vielen guten Gesprächen kamen wir beide zum Schluss, dass ein Co-Geschäftsführungsmodell für uns und die Stiftung die beste Lösung ist. Wichtig ist, die richtige Balance zu finden zwischen individuellen und kollektiv getragenen Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Kompetenzen. Während individuelle Aufgaben so gestaltet sind, dass das persönliche Fachwissen möglichst zum Tragen kommt, müssen strategische Entscheidungen gemeinsam gefällt und getragen werden.

Marcel Spiess: Ein Fokus liegt darauf, dass wir Sinn und Zweck unserer Tätigkeit vermitteln. Als Führungskräfte sind wir Botschafter für den Purpose und müssen die Werte unserer Institution vorleben. Es liegt in unserer Verantwortung aus der Stiftungsvision konkrete Ziele für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abzuleiten und diese dann gemeinsam mit Leben zu füllen. Zudem ist es uns wichtig als Stiftung zeitgemäss Arbeitsprozesse und -modelle zu schaffen, wo sich die Mitarbeitenden einbringen können. Als Führungskräfte müssen wir heute lernen, inhaltliche und prozessuale Verantwortung in die Teams abzugeben. Wir müssen neue Entscheidungsstrukturen aufbauen, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch mehr Verantwortung für die Stiftung übernehmen können.

Zwei Profile, die sich ergänzen

Joe Leemann ist seit 2017 Mitglied der Geschäftsleitung und hat 2019 die Geschäftsführung von Marcel Mettler übernommen und freut sich nun, mit Marcel Spiess die Leitung zu teilen. Marcel Spiess ist seit 2018 in der Geschäftsleitung. Er leitete davor 7 Jahre lang das Teenager-Wohnen «T-Home». Die Profile von Joe Leemann und Marcel Spiess ergänzen sich bestens. Beide sind ausgewiesene Fachmänner und besitzen einen Master in Sozialmanagement.

Wie sieht euer Arbeitsalltag als Co-Geschäftsführer aus? Macht ihr jetzt alles gemeinsam?

Leemann: Da wir ganz unterschiedliche berufliche Hintergründe mitbringen, ergänzen wir uns fachlich sehr gut, was zu höherwertigen Ergebnissen führt. Vier Augen sehen mehr als zwei, gegenseitige Inspiration führt zu neuen Ideen und gemeinsames Arbeiten pusht in der Regel effizienter Projekte. Und wir sind überzeugt, dass Diversität zu besseren Entscheidungen führt: Nicht immer einer Meinung zu sein, führt unweigerlich zu anderen Lösungen, die Kompromissbereitschaft steigt und Entscheide sind durchdachter sowie breiter abgestimmt.

Spiess: Nein, denn das würde uns zu viele Ressourcen kosten. Wir arbeiten momentan an der genauen Aufteilung der verschiedenen Bereiche der Stiftung. Wir starten bereits jeden Montag mit einem gemeinsamen Update in die Woche und da wir uns ein Büro teilen, gibt es auch genug Raum für den spontanen Austausch. So ist jederzeit sichergestellt, dass wir beide über alle wichtigen Projekte und Prozesse im Bilde sind. Auch, weil wir uns jederzeit vertreten können wollen.

Wie trefft ihr dann gemeinsame Entscheidungen, wenn ihr nicht gleicher Meinungen seid?

Leemann: Wenn Marcel eine Entscheidung trifft, trage ich diese mit – und umgekehrt. Da wir einen regen Austausch pflegen, sind wir jeweils beide über die wichtigsten Entscheidungsfindungen informiert. Und wenn keine grossen Einwände eingebracht werden, gilt der Lösungsvorschlag als angenommen.

Spiess: Die Mitarbeitenden merken, dass Joe und ich beide in die gleiche Richtung gehen und an einem Strang ziehen – und zwar auch dann, wenn einer seine Meinung mal nicht durchsetzen kann. Im Endeffekt haben alle Mitarbeitenden nun zwei Ansprechpartner mit spezifischen Kompetenzen, an die sie sich wenden können.

Das klingt ja wirklich toll. Bringt ein Co-Leitungsmodell denn nicht auch Gefahren mit sich?

Leemann: Natürlich müssen bei einem Co-CEO-Modell die richtigen Personen zusammenarbeiten, die sich gut ergänzen und deren Einstellung, Werte und Arbeitsweise zueinander passen. Ist das nicht gegeben, wird es wahrscheinlich schwierig. Zudem wird gerade bei einer so diversen Institution wie der Quellenhof-Stiftung eine hohe Kommunikationskompetenz gefordert. Jeder unserer Bereiche hat seinen eigenen Jargon, der zu Missverständnissen zwischen den Verantwortlichen führen kann. Jede projektleitende Person muss sicherstellen, dass sein oder ihr Fachwissen effektiv kommuniziert wird, damit es nicht zu Missverständnissen kommt oder Projekte aus der Spur geraten.

Spiess: Ich denke, ohne eine gemeinsame Wertebasis, Vertrauen und eine intensive Kommunikation würde es nicht funktionieren. Wenn die zwei Teile der Co-Leitung sich nicht gut kennen und wenig miteinander reden, besteht die Gefahr, dass bestimmte Aufgaben doppelt erledigt werden, Wissen verloren geht oder es zu Verunsicherung in der Mitarbeiterschaft kommt. Oder wenn die notwendigen organisatorischen Anpassungen bei einer Co-Führung nicht vollzogen werden, führt das zu Unklarheiten und Unsicherheit. Zwei Ansprechpartner zu haben, ist an sich eine gute Sache, aber nur, wenn alle über die jeweiligen Zuständigkeiten Bescheid wissen. Und damit wir nicht stehen bleiben, muss das Funktionieren der gemeinsamen Führung laufend überprüft und allenfalls angepasst werden.

Das Interview führte Beatrice Studler, Co-Leiterin Kommunikation