Man will doch auch einen Vater!

Heute lebt Razi mit seiner Familie in einem bekannten Touristenort der Ostschweiz. Ganz in der Nähe seiner Wohnung arbeitet er in einem Hotel als Koch. Er ist glücklich verheiratet und Vater von zwei Söhnen. Seine grössere Tochter kommt regelmässig zu Besuch.

Doch nicht immer lief es so rund bei Razi. Er war erst sieben Jahre alt, als sich seine Eltern scheiden liessen. Als Ältester von drei Kindern traf es ihn am stärksten, als der Vater ging. Seine Mutter versuchte ihm und seinen Geschwistern Vater und Mutter zu sein. Razi erzählt: „Sie verwöhnte mich sehr, indem ich alles bekam, was ich wollte. Auch die Grosseltern gaben meinen Wünschen stets nach. Trotzdem war es für mich schwierig, keinen Vater zu haben. Eine Mutter kann einen richtigen Vater nicht ersetzen. Man will doch auch einen Vater! Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihm, doch besitze ich seine Telefonnummer und weiss, wo er wohnt.“ Weil er das männliche Gegenstück zur Mutter suchte, fand er Kollegen, die ihn beeindruckten. Leider waren es die falschen Kollegen. „So fing das ganze Theater mit den Einbrüchen und all dem andern Zeugs an,“ erinnert sich Razi. Wenn er Unfug anstellte, hatte das bei seiner Mutter keine Konsequenzen. Sie war nie länger als einen halben Tag sauer. Der Stiefvater hielt sich raus aus diesen Geschichten.

Aus Langeweile

Razi war kein guter Schüler. Weil es ihm und seinen Kollegen in der Freizeit langweilig war, kamen sie auf dumme Gedanken. Das Verbotene reizte sie. Sie begannen in Lagerhallen und Getränkehandelsfirmen einzubrechen. Im Rückblick analysiert Razi: „Weil ich keine Strukturen hatte, entwickelte ich ein Gangsterverhalten. Wenn man dann bei den Kollegen ist, will man besser und krasser sein als die andern. Wer mehr wagt, wird bewundert!“

Für seine beiden letzten Schuljahre wurde Razi in ein Internat im Kanton Thurgau versetzt. Später konnte er eine Lehre als Koch starten und in einem eigenen Zimmer wohnen. In Berufsschule und Lehrbetrieb lief in den ersten Monaten alles sehr gut. Doch dann lernte er wieder Kollegen kennen, mit denen er auf Diebestour ging. „Eines Tages kam die Polizei in meinen Lehrbetrieb, durchsuchte meinen Spind und mein Zimmer. Die Folge war eine Woche U-Haft mit dem vollen Programm wie DNA, Fingerabdrücke und so weiter.“ Das gab ihm zu denken. Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, dass etwas nicht richtig lief. Doch geheilt war er noch lange nicht. Seine zweite Lektion war der Rauswurf aus der Lehre nach dem ersten Lehrjahr. Weil er noch minderjährig war, platzierte ihn die Jugendanwaltschaft im T-Home der Quellenhof-Stiftung. Im benachbarten KafiMüli konnte er glücklicherweise seine Kochlehre fortsetzen und sehr gut abschliessen.

Viele Lektionen gelernt

Für Razi war neu, dass er nun mit Jugendlichen zusammen wohnte, die alle ebenfalls Probleme hatten. Es erleichterte ihn, dass er nicht immer der Sündenbock war, wenn etwas passierte. Man unterschied hier nicht zwischen weissen und schwarzen Schafen. Razi berichtet über diese Zeit: „Am Anfang war es eine grosse Herausforderung, mit Jugendlichen zusammen zu wohnen, die ich nicht kannte, von denen ich nicht wusste, wie sie ticken. Plötzlich musste ich mit einem Wildfremden das Badezimmer teilen. Man lernte sich fast wie Geschwister kennen, denn man war auch am Wochenende zusammen.“ Razi kam insgesamt mit den Mitbewohnern und den Betreuern gut aus. Er sagt: „Ich bin selbständiger geworden und habe viel gelernt. Oft erhielten wir nur Anweisungen und mussten dann Aufgaben und Pflichten selber erledigen. Die Strukturen und der klare Tagesablauf waren für mich ebenfalls wichtig.“

Razi erinnert sich, dass der Glaube im T-Home auch eine Rolle spielte. „Der Glaube wurde im Alltag praktischer gelebt und weniger über Rituale wie in der Kirche. Ich bete heute nach wie vor viel, fast täglich. Meistens geht es um kleine Sachen, die für andere gar nicht so verständlich sind. Ich sage innerlich danke!“ erzählt Razi. Diese Art von Glauben hat ihm seine Bezugsperson vermittelt.

Auf die Zeit im T-Home folgten verschiedene berufliche Stationen. Unter anderem arbeitete Razi ein Jahr auf dem Bau. Die körperliche Arbeit gefiel ihm.

Razi fand stets rasch Kontakt zu Frauen. Er hatte einige Beziehungen. Mit einer Freundin hat er ein Kind. Nach der Trennung von ihr litt er sehr darunter, seine Tochter Ashley so lange nicht sehen zu können. „Ich fand dann Melanie, die mich in dieser schwierigen Zeit stark unterstützte. Mit ihr stimmte es für mich einfach rundum, deshalb haben wir dann auch bald geheiratet. Sie ist die Mutter unserer beiden Söhne. Meine grössere Tochter kommt regelmässig zu Besuch.“ Strahlend sagt Razi: „Ich bin wirklich glücklich verheiratet und froh, dass sich so vieles beruhigt hat in meinem Leben.“